Die Stadt Braunschweig und die Verwaltung stehen vor einer entscheidenden Phase für den Klimaschutz in Braunschweig. Das „Integrierte Klimaschutzkonzept 2.0“ ist nach einem erfolgreichen Beteiligungsformat unter Verschluss und benötigt weitere Anpassungen, um den Namen wirklich zu verdienen. Grundsätzlich ist zu begrüßen, dass sich die Stadt Braunschweig das im Pariser Klimaschutzabkommen formulierte 1,5°C -Ziel als Rahmenbedingung für ihre künftigen Ziele im Klimaschutz setzt [3] [5]. Der von der Stadt bei der Auftaktveranstaltung präsentierte Emissionspfad „Szenario“, welcher CO2-Neutralität erst nach 2050 anstrebt, ist jedoch weder mit dem 1,5°C Ziel kompatibel, noch mit der neuen Gesetzeslage, die sich durch das kürzlich verabschiedete neue Klimaschutzgesetz ergeben hat [9]. Zudem beruht dieses „Szenario“ nicht auf Grundlage von aktuellen, relevanten Studien, welche die Umsetzung und Erfordernisse des 1,5°C Ziels für Deutschland untersuchen [6] [7] [8].
Prof. Dr. Andreas Hördt: „Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes und das neue Klimaschutzgesetz ergeben sich neue Rahmenbedingungen, auf die die Verwaltung der Stadt Braunschweig nun reagieren muss. Das Klimaschutzkonzept 2.0 muss dringend angepasst werden, und das Thema sollte bei der nächsten Sitzung des Planungs- und Umweltausschusses ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Die Reduktionspfade müssen präzisiert werden und Sofort-Maßnahmen sollten so schnell wie möglich eingeleitet werden.“
Hintergrundinformationen
Am 24.3.2021 hat das Bundesverfassungsgericht beschlossen, dass die Regelungen des aktuellen Klimaschutzgesetzes mit den Grundrechten unvereinbar sind, da hinreichende Maßgaben zur Emissionsminderung ab dem Jahr 2031 fehlen [1]. Die Bundesregierung hat darauf sehr schnell reagiert und einen Gesetzentwurf vorgelegt, der am 24.6.2021 vom Bundestag beschlossen wurde. [9]. In diesem Gesetzentwurf ist festgelegt, dass Netto-Treibhausgasneutralität bereits 2045 erreicht werden muss. Dieses Ziel ist verbunden mit deutlich strengeren Reduktionszielen schon bis 2030 [2].
Was bedeutet das nun für die Stadt Braunschweig? Diese arbeitet derzeit am „Klimaschutzkonzept 2.0“. In einem ersten Schritt wurden von September 2020 bis Februar 2021 im Rahmen einer Bürgerbeteiligung zwei Auftaktveranstaltungen, sowie sechs Fachworkshops zu Themen von der Energieversorgung über Verkehr und Gebäude bis hin zu Wirtschaft und Politik durchgeführt. [3]
Bei der öffentlichen Auftaktveranstaltung wurden Eckpunkte der Fortschreibung des Integrierten Klimaschutzkonzepts für die Stadt Braunschweig vorgestellt: CO2-Bilanz der Stadt Braunschweig, Quellen der CO2-Emissionen, mögliche Reduktionspfade, Energieszenarien, sowie der notwendige Ausbau der Erneuerbaren Energien.[4]
In den Fachworkshops wurden konkrete Maßnahmenkataloge erarbeitet, die den Klimaschutz in den verschiedenen Themengebieten maßgeblich vorantreiben. Die Workshops waren produktiv, transparent und zielführend. Seit dem letzten Fachworkshop am 18.02.2021 wurden von Seiten der Stadt leider keine weiteren Informationen veröffentlicht. Der finale Arbeitsstand der Maßnahmen wurde nicht wieder an die Workshop-Teilnehmenden zurück gespielt. Auch die für das erste Halbjahr geplante Abschlussveranstaltung wurde bisher nicht angekündigt. Der Beteiligungsprozess wurde aus unserer Sicht sehr gut organisiert und durchgeführt. Es ist dringend erforderlich, dass zwischen der Veröffentlichung eines Entwurfs des Klimaschutzkonzepts 2.0 und dem Beschluss durch den Rat der Stadt Braunschweig hinreichend Zeit zur Verfügung steht, um die Ergebnisse im Rahmen der Bürger*innenbeteiligung zu prüfen und zu diskutieren.
Zum bisher bekannten Entwurf gibt es durchaus Diskussionsbedarf. Grundsätzlich ist zu begrüßen, dass sich die Stadt Braunschweig das im Pariser Klimaschutzabkommen formulierte 1,5°C -Ziel als Rahmenbedingung für die künftigen Ziele im Klimaschutz setzt [3] [5]. Der von der Stadt bei der Auftaktveranstaltung präsentierte Emissionspfad „Szenario“, welcher CO2-Neutralität erst nach 2050 anstrebt, ist jedoch weder mit dem 1,5°C Ziel kompatibel, noch mit der neuen Gesetzeslage, die sich ab Herbst 2021 ergeben wird [4]. Zudem beruht dieses „Szenario“ nicht auf Grundlage von aktuellen, relevanten Studien, welche die Umsetzung und Erfordernisse des 1,5°C Ziels für Deutschland untersuchen [6] [7] [8].
Ein wichtiges Element des von der Stadt BS angestrebten „Szenarios“ sind die sogenannten „negativen Emissionen“ (CDR = Carbon Dioxide Removal), u.a. durch Technologien, die noch gar nicht zur Verfügung stehen oder als gefährlich und kritisch zu bewerten sind, wie die CCS-Technologie der Kohlenstoff-Abscheidung und unterirdischen Lagerung. „Negative Emissionen“ in ferner Zukunft sind nach heutigem Kenntnisstand hochspekulativ und unsicher und sollten nicht Bestandteil eines ernst gemeinten Klimaschutzkonzeptes sein [6] [7]. Bei Emissionsszenarien mit diesen sogenannten „negativen Emissionen“, welche CO2-Neutralität erst nach 2050 anstreben, wird praktisch ein „Kohlenstoff-Kredit“ aufgenommen, den die nachfolgenden Generationen zurückzahlen müssen. Diese Strategie ist nach unserer Einschätzung nicht mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vereinbar. Auch die Einrechnung von potentiellen CO2-Senken durch Wälder oder die Wiedervernässung von Mooren in die CO2-Bilanz ist eher ein „Rechentrick“, um höhere Emissionen an anderer Stelle „auszugleichen“ und sich mit weniger ambitionierten Maßnahmen zu begnügen.
Es gibt also aus wissenschaftlicher Sicht noch zahlreiche offenen Fragen zum Klimaschutzkonzept 2.0.
Über die Scientists for Future
Die Scientists for Future Braunschweig sind ein überinstitutioneller, überparteilicher und interdisziplinärer Zusammenschluss von Wissenschaftler*innen, die sich für eine nachhaltige Zukunft engagieren. Unter dem Motto „Wir forschen und handeln, wir sind mutig und wir ändern etwas!“ unterstützen wir in beratender Funktion die lokalen Fridays und Students for Future in Braunschweig und Umgebung. Als Regionalgruppe Braunschweig schließen wir uns der Charta der bundesweiten Scientist for Future an: https://www.scientists4future.org/about/charta/
Quellenangaben
[1]https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html
[2] https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Glaeserne_Gesetze/19._Lp/ksg_aendg/Entwurf/ksg_aendg_bf.pdf
[3] https://www.braunschweig.de/leben/umwelt_naturschutz/klima/klimaschutzkonzept-2.0/klimaschutzkonzept.php
[4] https://www.braunschweig.de/leben/umwelt_naturschutz/klima/pdf/klimaschutzkonzept/praesentation_auftaktveranstaltung.pdf
[5] https://www.de-ipcc.de/media/content/SR1.5-SPM_de_181130.pdf
[6] https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/01_Umweltgutachten/2016_2020/2020_Umweltgutachten_Kap_02_Pariser_Klimaziele.pdf?__blob=publicationFile&v=21
[7] https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/7606/file/7606_CO2-neutral_2035.pdf
[8] https://www.energywatchgroup.org/wp-content/uploads/EWG_Studie_2021_100EE-fuer-Deutschland-bis-2030.pdf
[9] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/klimaschutzgesetz-2021-1913672